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Leinen los!

Der online-Duden hat sich eingeklinkt in die hochemotionale Diskussion um eine "gendergerechte" Sprache. 

Das war sehr viel Arbeit, denn es ging um sehr viele Wörter. In diesem Post picken wir uns exemplarisch den "Bürger" heraus. 

Mit dem Wort Bürger sei laut Duden fortan nur noch der Bürger gemeint. Eine Frau kann nie zu den Bürgern zählen, sondern höchstens zu den Bürgerinnen. Das ohnehin schwer bedrängte generische Maskulinum scheint somit auch offiziell abgeschafft zu sein - zumindest, wenn man im Duden die letzte Instanz sieht.

Wenn man von den Bürgern einer Stadt redet, meint man laut Duden ab sofort nur noch die Männer. Will man die Frauen miteinschließen, so muss man von Bürgerinnen und Bürgern reden. Das ist ungefähr so, als würde man das Wort Obst ersatzlos streichen und statt dessen von Äpfeln und Birnen reden. 

Doch wo bleiben Pflaumen, Pfirsiche, Trauben und all die anderen? Was ist mit den Bürgern bzw. mit den Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen.

Alle nicht-binären Menschen waren im generischen Maskulinum ausnahmslos und selbstverständlich miteingeschlossen. Werden diese Menschen in der jetzigen Version des Dudens außen vor gelassen? Ja, werden sie. Der Duden bietet bislang keine integrierende Lösung an. Irgendwie ist er zu kurz gesprungen. 

Doch Hilfe naht. Das Gendersternchen steht schon in den Startlöchern. Hier und da hat es sich schon durchgesetzt. Es würde die neu gerissene Lücke gerne auch im Duden füllen. Und dann? Alles gerettet, alles gut, alle wieder mit drin?

Liebe Bürger*innen

Glaubt man den Erfindern des Gendersternchens, so soll diese Anrede alle Menschen ansprechen, unabhängig von ihrer sexuellen Identität - genau wie zuvor das verpönte generische Maskulinum. Doch das Sternchen hat ein Häkchen. 

Die Männer finden sich bei den Bürger*innen wieder, indem sie das Sternchen als Wortende sehen. Die Frauen müssen das Sternchen einfach nur übersehen und können damit zufrieden sein. Aber allen anderen sexuellen Identitäten wird lediglich angeboten, sich gemeinsam im kleinen unspezifischen Restetopf des Sternchens zu tummeln.

Die Entsprechung des * in der gesprochenen Sprache bezeichnete der Schriftsteller Eugen Ruge treffend als eine "Stotterpause", andere sprechen von einem gutturalen Gurgeln. Fachsprachlich handelt es sich um einen "Glottisschlag". Nicht-binäre Menschen sollen sich jedenfalls dadurch, dass die Sprache für einen kurzen Moment stockt, positiv angesprochen fühlen. Eine Pause benennt das Unsagbare?

Für wen ist eigentlich der Bürgersteig da?

Folgt man dem neuen Duden, so ist der Bürgersteig ab sofort nur noch für Männer da. Vielleicht sollte man zusätzliche Bürgerinnensteige errichten? Alternativ könnte man natürlich "gendergerecht" auch vom Bürger*innensteig reden.

Das Wort Bürgerpflicht bezog sich bislang auf eine grundsätzliche ethische Pflicht aller Bürger. Von nun an kann mit der Bürgerpflicht aber nur noch die Pflicht der männlichen Bürger gemeint sein. Mit der Pflicht der Bürgerinnen und Bürger lässt sich die Bürgerpflicht wohl kaum ersetzen. Vielleicht wird einst auch der Duden von einer Bürger*innenpflicht sprechen... 

Wenn in Ihrer Gemeinde der nächste Bürgermeister gewählt wird, so muss man sich nun ernsthaft fragen, ob dieser nur für die Männer zuständig ist oder auch der Meister der Bürgerinnen sein soll. Seine Berufsbezeichnung wäre wohl am korrektesten mit dem Wort Bürger*innenmeister anzugeben.

Doch halt, wie sind schon wieder in die Falle getappt. Der nächste Bürger*innenmeister könnte auch eine Frau sein oder ein diverser Mensch. Wir sollten daher eher von eine*r Bürger*innenmeister*in sprechen.

Spätestens beim Versuch, ein*e Bürger*innenmeister*in  laut und korrekt auszusprechen (nur zu!), fühlt man sich irgendwie gedemütigt und hört eher einen Sprachcomputer als sich selbst. Selbst bei hartgesottenen Anhängern der "diskriminierungsfreien Sprache" könnte eine Art Sehnsucht nach dem guten alten generischen Maskulinum aufkommen.

Hat der Duden das letzte Wort?

Der Duden gilt vielen als unangreifbar. 

Nach dem Selbstverständnis der Online-Fassung bietet der Duden "umfassende Informationen zu Rechtschreibung, Grammatik und Bedeutung eines Wortes". Er bezeichnet sich wörtlich als "die Autorität der Deutschen Sprache". 

Wer verordnet die Bedeutung von Wörtern?

Man darf - nein, man sollte -  sollte die Frage stellen, in welcher Weise die Duden-Redaktion dazu legitimiert wurde, Sprachinhalte verbindlich zu definieren. Im Hintergrund wirkt zudem der wenig bekannte "Rat für Deutsche Rechtschreibung", der sich wohl um mehr kümmert als nur um die Rechtschreibung. Doch gibt es irgendeine Kontrollinstanz für diese Gremien. Darf man ihnen die Macht zusprechen, Wortbedeutungen zu ändern und den lange schwelenden Streit über das generische Maskulinum quasi per Dekret zu "entscheiden"? 

Die Freiheit der Gedanken benötigt die Freiheit der Sprache

Die Antwort ist eindeutig, zumindest für mich. In einer freiheitlichen liberalen Gesellschaft ist es nicht vorstellbar, dass die Bedeutung von Wortinhalten von zentraler Stelle aus verordnet wird. Die Freiheit der Gedanken benötigt die Freiheit der Sprache.

Man mag den Duden als Nachschlagewerk für die Rechtschreibung deutscher Wörter schätzen. Wie jedes andere Wörterbuch darf auch er sich um die Erklärung von Wortbedeutungen bemühen. Wenn man ein Wort nicht wirklich kennt, kann das hilfreich sein. 

Befreit den Duden!

Doch es wird Zeit, den Duden von einer Last zu befreien - von der Last, verbindliche Wortbedeutungen liefern zu müssen. Lassen wir ihn fahren, wohin er will. Wir dürfen mitfahren, müssen aber nicht. Wir können auch einfach zuschauen. Das fühlt sich gut an. Leinen Los!

Der Duden mag fortan eine private Meinung äußern. Er mag sich weiterhin als die Autorität der Deutschen Sprache sehen. Doch anderen sei es gestattet, in ihm nur ein Wörterbuch unter vielen zu sehen. 

Denn wenn es eine zentrale Stelle gibt, die den korrekten Gebrauch der Sprache vorschreibt, wenn sich selbsternannte Sprachtribunale auf die Wortbedeutungen des Duden berufen wie ein Anwalt auf einen Gesetzestext, dann sind Urteile und Sanktionen nicht mehr weit.

Diese Sanktionen können subtil sein. Klassische Sanktionen wie Geldstrafen sind derzeit (noch) nicht absehbar. Aber der stille Ausschluss aus bestimmten gesellschaftlichen Bereichen wie Universitäten oder politischen Gremien scheint durchaus möglich. Die Stadt Hannover bietet eines von vielen Beispielen. Um in der Stadtverwaltung arbeiten zu dürfen, muss man - neben vielen anderen ausformulierten Sprachregeln - u.a. das Gendersternchen akzeptieren. Widerspenstige werden zurechtgewiesen, eine Kündigung wird nicht ausgeschlossen. Wer hier noch nicht an China oder die DDR (oder an noch Schlimmeres) denkt, sollte Geschichte studieren, bevor er sein linguistisches Engagement fortsetzt.

Der Kalte Konflikt der Postmoderne

In der sogenannten Postmoderne herrscht ein Kalter Konflikt zwischen Menschen, die sich als Opfer der Sprache fühlen, und Menschen, die Sprache respektvoll bewahren wollen - und sich dabei nicht als Täter sehen. Beide Gruppen setzen sich intensiv und bewusst mit Sprache auseinander.  

Die Veränderung von Sprache hat indes Fahrt aufgenommen. Der normale allseits akzeptierte Evolutionsprozess droht in eine revolutionäre Umwälzung überzugehen. Wer das Gendersternchen kritisiert, dem wird das X angeboten, welches in kleinen linguistischen Parallelgesellschaften bereits praktiziert wird. 

Statt Bürger*innen würde man dann von BürgerXen reden. Doch auch hier ist Kritik absehbar. Die männliche Form bleibt irgendwie erkennbar, während die weibliche Form zugunsten einer künstlich-neutralen Endung umgeschmolzen wird. Dementsprechend ist das eher ein Projekt der Diversen als ein Anliegen der Feministinnen.

über irreführende und anmaßende Begrifflichkeiten

Bei alledem bleibt zu berücksichtigen, das die "gendergerechte Sprache" nur einen Teil der sogenannten "diskriminierungsfreien Sprache" darstellt. 

Mit dem Begriff der "diskriminierungsfreien Sprache" ist ein ausformuliertes Regelwerk verbunden. Die Begriffsbezeichnung an sich ist geschickt gewählt. Sie suggeriert, dass Menschen, welche dieses Regelwerk nicht befolgen, sich einer "diskriminierenden Sprache" bedienen. 

Wer sich dieses Regeln nicht beugt, ist also der Diskriminierung überführt?  Wie jedes Vorurteil, so droht auch dieses, den Angegriffenen zu bedrängen. Doch wer das enge Korsett der "diskriminierungsfreien Sprache" aus guten Gründen ablehnt, sollte sich keinesfalls in der Defensive zu sehen.

Alle Sprachen wurzeln in der Geschichte. Dementsprechend finden sich innerhalb jeder Sprache unzählige, tief eingegrabene Begriffe mit Bezügen zu den Geschlechtern, zu Religionen, Ethnien, Berufsständen und vielen anderen Bereichen. In all diesen Bereichen könnten sich Menschen durch die jeweils entsprechenden Wörter und Redewendungen diskriminiert fühlen können. 

Die einzige denkbare "Lösungsansatz", der versuchen könnte, eine "diskriminierungsfreien Sprache" zu erzwingen, wäre letztlich die Erfindung einer radikal neuen, technischen Sprache, welche ohne irgendwelche Altlasten mit mathematischer Präzision konzipiert wird. Doch dieses hoffnungslose Projekt würde uns alle sprachlos machen.

Die Bilderstürmer der Gegenwart gefährden ihre eigenen Ikonen

In vielen Schriftstücken und Kunstwerken der Vergangenheit meinen die Bilderstürmer der Gegenwart, allein aufgrund der Verwendung bestimmter Symbole und Worte Zeugnisse von Rassismus und Diskriminierung zu erkennen.

Die berühmte Rede des Bürgerrechtlers Martin Luther King ("I have a dream...") wäre im Sinne einer "diskriminierungsfreien Sprache" mittlerweile verboten. Sie müsste zumindest umgeschrieben werden, da sie vermeintlich rassistische Elemente enthält. Herr King benutzte das Wort "negro" satte 16-mal - und das nicht nur in historischem Kontext, sondern meistens als selbstverständliche Bezeichnung für die zeitgenössischen Schwarzen.

Da können sich zeitgenössische Bürger*innenrechtler*innen nur die Haare raufen!

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