Frau Touré, die Vizepräsidentin des Landtags von Schleswig-Holstein, wird in der ZEIT N°43 ausführlich zu ihrer Familiengeschichte und ihrer Erfahrung mit Rassismus befragt. Offensichtlich wurde sie aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe für dieses Interview ausgewählt.
In Fragen wie "Wo kommst Du her?" oder "Wann gehst Du zurück?" sowie im Angespuckt-werden sieht Frau Touré gleichermaßen Zeichen der rassistischen Ablehnung. Hier wird nicht weiter differenziert oder abgestuft. Da ihre Hautfarbe letztlich überall Aufmerksamkeit erregt, kommt sie zu dem Schluss, dass es keinen Ort gibt, der frei von Rassismus ist. Diese Aussage wird von der Zeit in großen Lettern hervorgehoben.
Hellhäutige Menschen, die Dreadlocks tragen, kommen bei Frau Touré nicht gut weg. Abgesehen davon, dass es bei Weißen "oft blöd aussieht", versteht sie, dass manche Schwarze darin eine "kulturelle Anmaßung" sehen. Weiße Träger von Dreadlocks sollten zumindest ein Bewusstsein dafür entwickeln, welche Probleme (bzw. welchen "Struggle") es für die Schwarzen mit sich bringe, "mit solchen Haaren unterwegs zu sein".
Ich finde das ganze Interview tatsächlich ziemlich missglückt. Von beiden Seiten.
Wenn ich persönlich jemanden nach seiner Herkunft frage, so steckt hinter dieser Frage lediglich ein freundliches Interesse an der anderen Person. Das könnte ich bei Bedarf auch beschwören. Menschen wie Frau Touré mögen daran zweifeln. Das fände ich aber anmaßend. Angespuckt habe ich ganz sicher noch nie jemanden.
Frau Touré wurde aufgrund ihrer Hautfarbe für dieses Interview ausgewählt. Müsste man diesen Vorgang nicht auch als rassistischen Akt werten? Ist das nicht eng verwandt mit der Frage nach der Herkunft? Oder bekundet das Interview - wie so manche Frage nach der Herkunft - einfach nur wohlwollendes Interesse an der dunkelhäutigen Frau Touré?
Ganz grundsätzlich leben wir in einem freien Land - auch hinsichtlich der Frisur. Man darf in Deutschland z.B. Dreadlocks haben, einfach, weil man sie schön findet und sich damit wohl fühlt. Weil man Lust drauf hat. Weil man es cool findet. Auch Weiße dürfen übrigens Reggae hören, oder? Sie dürfen sogar mitsingen, selbst wenn sie nicht wissen, wer Ras Tafari war. Nicht alles im Leben ist ein politisches Statement.
Man muss sich ja auch nicht dafür rechtfertigen, wenn man als weißer Deutscher ein marokkanisches Zitronenhühnchen zubereitet. Und waren die ersten Jazz-Musiker ebenfalls "kulturell anmaßend", als sie sich die Musik der Weißen zu eigen machten, um aus purer Lust und Laune etwas ganz Neues daraus zu schaffen?
Bei Frau Tourés Ausführungen zu Dreadlocks (bzw. schon bei der Frage der ZEIT) überkommt mich ein beklemmender Grusel. Diese Bemerkungen fügen sich zwanglos ein in gängige Sichtweisen "moderner Antirassisten". Überall wird Rassismus oder zumindest "kulturelle Anmaßung" im Innersten des Menschen vermutet. Die Rassisten werden anhand unscheinbarer, aber vermeintlich eindeutiger Indizien überführt und der Gesellschaft präsentiert. Die einzige Gnade, die ihnen widerfahren kann, ist, dass sie nichts von ihrem eigenen Rassismus wussten. In weiser Vorausschau werden wir daher von der Vizepräsidentin des Landtags in Schleswig-Holstein darauf hingewiesen, dass Dreadlocks bei "Weißen" in gewisser Weise genehmigungspflichtig sind...
Doch genug. Selbst wenn es keine anderen, wichtigeren Sachen gäbe, würde ich keine weitere Zeit mit solchen albernen, destruktiven Diskussionen verschwenden. Eine Landtags-Vizepräsidenten, die argwöhnisch darauf achtet, wer genau welche potentiell anmaßenden kulturellen Anleihen bei welchen "andersartigen", eventuell benachteiligten Ethnien tätigt, scheint mir jedenfalls - gelinde gesagt - nicht dazu berufen, Rassismus zu bekämpfen. Sie hält ihn vielmehr am laufen. Hier werden Risse aktiv erhalten und erweitert statt gekittet und geglättet.
Auch als Weißer erregt man mancherorts viel Aufmerksamkeit.
Im subsaharischen Afrika habe ich als Arzt und Backpacker viel Aufmerksamkeit allein aufgrund meiner Hautfarbe erhalten. Babys begannen panisch zu schreien, weil sie noch nie einen Weißen gesehen hatten. Kinder liefen mit hinterher und fragten nach Geld oder Geschenken. Jugendliche und Erwachsene sprachen mich gezielt an, um in´s Geschäft zu kommen. ALLE fragten mich, wo ich herkomme. Kinder und Frauen berührten das lange glatte blonde Haar meiner Tochter.
All diese Aufmerksamkeit wurde mir bzw. uns nur aufgrund unserer Hautfarbe zuteil. Ich wurde gewissermaßen einsortiert, nur aufgrund meiner Hautfarbe. Ich hielt und halte das für einen normalen Vorgang. Ich habe nie etwas Negatives dabei empfunden. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, darin rassistisches Verhalten zu sehen.
Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen der Situation eines Weißen in Afrika und einer Schwarzen in Europa. Aber bezüglich des Wesentlichen ist der Vergleich aussagekräftig: Frau Touré und viele andere scheinen es für grundsätzlich rassistisch zu halten, wenn einem aufgrund der Hautfarbe irgendeine Form der Aufmerksamkeit - auch wohlwollende - zuteil wird. Das halte ich für falsch. Diese Art von Überreaktion kann zu nichts Gutem führen. Sie hält allenfalls den Kessel am Kochen. Dann wären auch 99% der Schwarzafrikaner, die ich getroffen habe, des Rassismus verdächtig.
Wie soll man z.B. ein Kleinkind, welches in einem Dorf ohne dunkelhäutige Menschen aufwächst, auf seine erste Begegnung "vorbereiten". Was soll man tun, wenn sich ein solches Kind voller Erstaunen vor den ersten dunkelhäutigen Menschen seines Lebens stellt und diesen angafft oder sogar Angst bekommt? Sind die Eltern in einem solchen Fall schon Rassisten? Könnte man das Ganze auch entspannt sehen und allseits schmunzeln?
Auch der ZEIT könnte man ein rassistisches Motiv unterstellen. Frau Touré wurde offensichtlich aufgrund ihrer Hautfarbe um ein Interview gebeten. Dementsprechend befragt die ZEIT Frau Touré auch nur zu ihrer familiären Geschichte und zu ihrer Hautfarbe bzw. zu den damit verbundenen Problemen. Folgerichtig spricht Frau Touré auch nur über das, was andere am besten ignorieren sollen: ihre Hautfarbe und ihre Familiengeschichte. Das ist irgendwie bizarr.
Man könnte es auf die Spitze treiben und die Frage stellen, ob man eigentlich auch sich selbst gegenüber Rassist sein kann, wenn man die eigene Hautfarbe zu sehr in den Vordergrund stellt.
Abschließend kann man jedenfalls sagen: Je mehr Bedeutung Frau Touré ihrer eigenen Hautfarbe gibt, um so mehr wird sie auch von anderen Menschen darüber definiert.
Persönlich finde ich es schade, dass sich die Vizepräsidentin des Landtags von Schleswig-Holstein im Interview auf ihre schwarze Hautfarbe reduzieren lässt. Ihre politischen Ideen hätten mich weit mehr interessiert.
rezensierter Text:
Ist die Schule rassistisch, Aminata Touré?
Interview der ZEIT (Maximilian Probst und Martin Spiewack) mit Aminata Touré
die ZEIT N°43, 15.10.2020, Seite 40
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